„Das ist aber ungerecht!“ Mit großer Empörung spricht die zehnjährige Schülerin aus, was viele in ihrer Klasse gerade denken. Es geht um die Herstellung von T-Shirts in Bangladesch. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der häufig noch sehr jungen Arbeiterinnen sind unerträglich. Immer wieder fasziniert mich, wie ausgeprägt das Empfinden für Fragen der Gerechtigkeit bei Kindern und Jugendlichen ist. Sie haben ein feines Gespür dafür, dass ein Zustand oder eine Entscheidung nicht gerecht sind.
Dass Menschen in den Ländern des Südens, nicht selten auch Kinder, für unseren Wohlstand ausgebeutet werden, empört nicht nur meine Schüler und Schülerinnen. Es veranlasst immer mehr Menschen, mit ihren Konsumentscheidungen ein bewusstes Zeichen für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu treffen. Das macht mir Hoffnung.
Bei einer Sitzung des Diözesanpastoralrates stellten kürzlich Mitarbeiter des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen Analysen zum Zusammenhang von Einkommen und Wahlbeteiligung vor. Das Ergebnis ist eindeutig. Das untere Einkommensdrittel nimmt nur noch etwa zur Hälfe an Wahlen teil, während das obere Drittel zu 85 Prozent wählen geht. Es gibt sie offensichtlich doch, die sogennnte Zwei-Drittel-Gesellschaft und die Erfolge rechtsextremer Parteien und Bewegungen haben sicher auch damit zu tun, dass sich ein Teil der Gesellschaft abgehängt fühlt – ohne Perspektive und Hoffnung für die Zukunft.
Was heißt hier schon gerecht?
Es ist in meinen Augen dringend notwendig, die Fragen der gesellschaftlichen und der weltweiten Gerechtigkeit immer wieder neu zu stellen. Als Diözesankomitee tun wir das in vielfältiger Weise. Gemeinsam mit dem Erzbistum Paderborn und dem BDKJ motivieren wir Kirchengemeinden, Verbände und Einrichtungen in der Aktion „faire Gemeinde“ fair und nachhaltig zu handeln und auf Produktionsbedingungen und Umweltstandards im täglichen Leben zu achten. Klar positioniert haben wir uns in diesem Zusammenhang gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, nicht zuletzt, weil wir die Sorge haben, dass diese Abkommen auf Kosten der Länder des Südens gehen werden.
Unser christlicher Auftrag ist es, eine deutliche Option für die Armen zu formulieren. Hier gibt es in den kirchlichen Strukturen Nachholbedarf. Eine Kirche der Zukunft muss eine Kirche der Gerechtigkeit sein. Das hat konkrete, auch unbequeme und konflikthafte Folgen. Als Diözesankomitee sind wir uns da einig mit Papst Franziskus: „Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen“.
Diese Position werden wir auch in die Diskussionen beim Sozialkirchentag einbringen.
Ansgar Kaufmann ist Vorsitzender des Diözesankomitees im Erzbistum Paderborn und seit Jugendarbeitszeiten in Eine-Welt-Fragen engagiert.