Es war ein Fest, bei dem auch intensiv gearbeitet wurde: In Paderborn fand zum ersten Mal ein Sozialkirchentag statt, der gleich Lust auf mehr machte. Als die Präses der evangelischen Landeskirche Annette Kurschus, der Erzbischof von Paderborn, Heinz-Josef Becker, der Gewerkschafter Armin Wiese und der Paderborner Bürgermeister Michael Dreier Stellung bezogen zu dem, was sie unter Gerechtigkeit verstehen und wie man diesem Ziel näher kommen kann, hatte der Regen aufgehört und die Sonne zeigte sich, ganz wie die Veranstalter es auf ihrem Banner dargestellt hatten.
Ihnen, den zahlreichen katholischen und evangelischen Organisationen sowie dem Deutschen Gewerkschaftsbund DGB war vorher schon klar, dass es bei diesem Thema um das Bohren dicker Bretter geht. Aber dass dieses Bohren auch so viel Freude machen und die Herzen so erfüllen kann, konnten alle erleben, die beim Sozialkirchentag dabei waren. Präses Kurschus brachte es auf den Punkt: „Auf dem Weg der Gerechtigkeit entsteht Leben. Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Leben in Fülle und Frieden und Gemeinschaft.“ Der Vertreter der Veranstalter und Initiator des Sozialkirchentages Konrad Nagel-Strotmann ergänzte: „Nach biblischem Verständnis kommt die Gerechtigkeit nicht erst nach dem Wohlstand, vielmehr ist gutes Leben und Glück eine Folge der Gerechtigkeit.“ Diese Meinung teilte auch der Erzbischof: „Gerechtigkeit geht nicht auf, wenn wir zuerst unseren eigenen Nutzen definieren. Auch ist es ein fataler Bazillus, zu denken, der Staat wird das schon regeln. Im Sinne der Verlässlichkeit ist staatliche Koordination sicher notwendig. Aber es gilt, die Menschen selbst zu aktivieren. Sehr froh bin ich, dass das sozialen Gewissen in den Gemeinden offenbar unermüdlich ist. Wir dürfen die Kontakte Face to Face und den Staat nicht gegeneinander ausspielen. Über praktisches Engagement gewinnen wir Menschen. Auch für die kirchlichen Gemeinden ist Unterstützung der Flüchtlinge nützlich und förderlich. Uns werden die Augen geöffnet.“
Wie weit den Aktiven in der Solidaritätsarbeit die Augen geöffnet wird, wurde beim Studienteil am Samstag in der Bildungsstätte Liborianum immer wieder deutlich. Hier wurde nicht die Verantwortung für eine gerechte Welt der Politik zugeschoben. Vielmehr zeigte sich, wie vielfältig die Erfahrungen im Engagement schon sind. Ob es um die großen Fluchtbewegungen und ihre Bewältigung in unserem Land geht, die Ursachen in Handelsbeziehungen und Rüstungslieferungen, um prekäre Arbeitsverhältnisse, den Schutz des freien Sonntags, um gerechte Arbeit und gute Bildung als Bedingungen für Integration von Einheimischen und neu Hinzugezogenen – bei diesen und vielen anderen Themen hatten die Teilnehmenden Erfahrungen durch persönlichen Einsatz und die Mitarbeit in Organisationen oder der Entwicklung von gemeinsamen Kampagnen. Sie sind beteiligt bei Aktionen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA oder engagieren sich gegen menschenunwürdigen Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen.
Impulse von inspirierenden Persönlichkeiten brachten die Arbeitsgruppen schnell ins Gespräch. Am Morgen machten der Paderborner Dechant Benedikt Fischer und der Superintendent des Kirchenkreises Paderborn Volker Neuhoff den Auftakt mit einem Impuls zum Thema „Sonne der Gerechtigkeit“. Aus ihrer Praxis berichteten Norbert Faltin, Betriebsratsvorsitzender bei Amazon in Koblenz, die Sozialbeauftragte des Kirchenkreises Paderborn Susanne Bornefeld und Annette Muhr-Nelson vom Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung der evangelischen Landeskirche. Ottmar John, Referent bei der Deutschen Bischofskonferenz für pastorale Entwicklung, verdeutlichte den Zusammenhang von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, der Arbeiterpriester Albert Koolen zeigte die enge Verbindung von Hilfe in Notlagen und politischen Perspektiven auf, und die Kampagnenberaterin Michaela Ruhfus wies auf Bedingungen für erfolgreiche politische Veränderungsarbeit hin.
Obwohl es immer wieder Pausen gab, waren sie für viele oft zu kurz, um die zahlreichen Anregungen im Einzelgepräch zu vertiefen oder neu geschlossenen Kontakte zu intensivieren. Daher war immer wieder der Wunsch zu hören: Solch einen Sozialkirchentag muss es wieder geben! Zu diesem Wunsch trug sicher auch bei, dass im Mittagsgebet von Pfarrer Christoph Keienburg aus Paderborn und dem Politischen Abendgebet auf dem Marienplatz das Nachsinnen, das Gebet, die Musik und Poetry Slam ihren Platz hatten. Die Begegnungen und Inspirationen sind aber ein Schatz, den nur die Teilnehmenden selbst erleben konnten.